Mit seinem Urteil vom 09.12.2020 (III R 73/18) hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass der Anspruch auf vorrangige ausländische Familienleistungen auch dann auf das Kindergeld nach deutschen Recht anzurechnen ist, wenn der im Ausland erwerbstätige Kindergeldberechtigte die dort vorgesehenen Leistungen weder beantragt noch bezogen hat.
Der nachfolgende Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:
Ein Familienvater lebt mit seiner Familie in Deutschland. Er bezog für seine beiden Kinder Kindergeld nach deutschem Recht. Im Dezember 2000 nahm er eine nichtselbständige Tätigkeit in den Niederlanden auf, ohne die ihm für seine Kinder dort zustehenden Familienleistungen zu beantragen. Der Familienkasse machte er keine Mitteilung. sodass diese das Kindergeld an ihn weiterhin ungemindert auszahlte.
In 2016 erfuhr die Familienkasse von der Erwerbstätigkeit des Familienvaters in den Niederlanden. Sie hob die Kindergeldfestsetzung rückwirkend für mehrere Jahre zum Teil auf, indem sie den nicht geltend gemachten Anspruch des Familienvaters auf niederländische Familienleistungen anrechnete. Der Vater klagte dagegen. Die Klage des Vaters vor dem Finanzgericht Niedersachsen hatte überwiegend Erfolg. Es entschied, dass die Familienkasse das in den Niederlanden tatsächlich nicht gezahltes Kindergeld nicht anrechnen hätte dürfen. Differenzkindergeld komme nur in Betracht, wenn der in dem nachrangig zuständigen Staat (Deutschland) gestellte Kindergeldantrag an den vorrangig zuständigen Staat (EU-Mitgliedstaat) weitergeleitet werde.
Mit seiner Entscheidung hat der Bundesfinanzhof das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Klage des Familienvaters abgewiesen. Wegen des Anspruchs des Familienvaters auf Familienleistungen nach niederländischem Recht wird sein deutscher Kindergeldanspruch nach Unionsrecht auf den Betrag begrenzt, der sich bei Anrechnung des Anspruchs auf niederländische Familienleistungen ergibt. Aus ihnen ergibt sich, dass die Niederlande vorrangig zuständig für die Gewährung von Familienleistungen waren, weil der Kläger dort eine Erwerbstätigkeit ausübte und die Ehefrau des Klägers in Deutschland nicht erwerbstätig war. Deutschland brauchte deshalb nur die Differenz zwischen dem deutschen Kindergeld und dem Anspruch auf die (niedrigeren) niederländischen Familienleistungen zu zahlen nach Art. 68 Abs. 1a und 2 der EU-Verordnung Nr. 883/2004.
Ein Anspruch des Familienvaters auf niederländischen Familienleistungen war deshalb nicht zu verneinen, weil dieser in den Niederlanden keinen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Der in Deutschland gestellte Antrag auf Kindergeld ist unionsrechtlich so zu behandeln, als wäre er beim vorrangig zuständigen Staat gestellt worden.
In der Praxis ist nun zu berücksichtigen, dass die Antragsstellung in einem Mitgliedstaat die entsprechende Anspruchsvoraussetzung für den Kindergeldbezug im anderen Mitgliedstaat wahrt.